Kritik am Kanon aus feministischer Perspektive begleitet den Kanon seit je her, häufig geht sie ihm in Teilen sogar voran: Denkerinnen wie Cavendish, Wollstonecraft, Perkins Gillman, Beauvoir hatten alle einen kritischen Blick auf den Kanon, sowohl hinsichtlich des historischen Ausschlusses von Frauen aus der philosophischen Tradition als auch der negativen Charakterisierung von Frauen oder des Weiblichen in dieser Tradition. Daher ist die Kritik an der fehlenden Pluralität, der fehlenden Einbeziehung von Frauen in den Kanon sowohl faktisch als auch konzeptionell. Die Podcast-Reihe „100 Jahre Kanonkritik“ möchte die breite bisher geleistete Kanonforschung in der Philosophie sichtbar(er) machen und für zeitgenössische Forschung und Debatten aufbereiten. In ihr soll es sowohl um die aktuelle Forschung am Kanon gehen, als auch um weit zurückliegende, vergessene Kritik von Philosophinnen am Kanon. Zentrale Fragen der Reihe sind: Was ist der klassische philosophische Kanon? Warum schreibt er sich trotz zahlreicher kritischer Forschungsarbeiten weiterhin fort? Wieso kann die Philosophie hartnäckiger als andere Disziplinen nicht-männliche Stimmen und nicht-westliche Traditionen ignorieren?
Der Podcast im Rahmen des BMBF-Projektes „Bildersturm: Frauen in der Philosophie sichtbar machen und neue Vorbilder etablieren“ verfolgt ein Forschungsprogramm im Hinblick auf die nachhaltige Dokumentation bestehender Kanonkritik sowie die Erforschung zeitgenössischer Perspektiven und Ansätze zum Umgang mit dem Kanon und einen Ausblick auf Wirklichkeiten anderer philosophischer Praxen hinsichtlich des Kanons.
In jeder Folge werden wir uns diesen Fragen mit einer/m anderen Gesprächspartner*in aus deren jeweiliger Perspektive nähern. Wir werden u.a. sprechen über: Strategien der Dauer, Dynamiken des kulturellen Gedächtnisses und Ausschlussmechanismen, Entstehung von „Klassikern“ eines Fachs, die philosophische Kanonkritik der 2. Frauenbewegung, deren Vorläufer und spätere Kritiken, Umgangsweisen mit dem Kanon (beispielsweise die feministische Re-Interpretation des Kanons, seine Modifizierung und Ergänzung oder das ,Canceln‘ des Kanons’), mögliche Ausblicke (Cyber/Sci-Fi-Feminismus) und Strategien für einen dauerhaften Wandel.
Den Auftakt zur Podcastreihe bildete im Frühjahr 2023 eine öffentliche Abendveranstaltung in Berlin (diffrakt) mit Nadja Germann und Catherine Newmark.
Der Podcast wird kuriert von:
Amelie Stuart ist wissenschaftliche Geschäftsführerin des Sonderforschungsbereichs 294 „Strukturwandel des Eigentums“ der Universitäten Erfurt und Jena am Max-Weber-Kolleg (Erfurt). Sie wurde in Philosophie mit einer Arbeit zu Pflichten zur Armutsprävention an der Universität Graz promoviert. Derzeit forscht sie zu Eigentumstheorien und dem philosophischen Kanon.
Hannah Wallenfels arbeitet zur Geschichte der Philosophie, feministischer Theorie und Science-Fiction und ist Mitglied des Kollektivs diffrakt. In ihrer Promotion untersucht sie das Selbstbild und Rollenverständnis der akademischen Philosophie, die Pfadabhängigkeiten und die Starrheit des philosophischen Kanons sowie Mechanismen des Ausschlusses und der Assimilierung. In ihrer Kollektivarbeit und der Kuration verschiedener Reihen und Veranstaltungen versucht sie genau die Tendenzen und Prozesse der Institutionalisierung und Erstarrung, die sie untersucht, zu vermeiden.